Da möchte einer Laurence Sterne und Marcel Proust beerben.
FAZ, 12. 3. 2022
ASJADI: Unsinn! Tric-Trac hat mit Proust oder Sterne ungefähr so viel zu tun wie ein indonesischer Wasserbüffel mit einer Himalaya-Orchidee. Der Autor bekennt: Laurence Sterne hat er nie gelesen. Und in Marcel Prousts Recherche war er – wie schon sein Held Farshid (vgl. Tric-Trac, S. 157) – nie über die Madeleine-Episode hinausgekommen. Warum auch? Wenn das Wort „Erinnerung“ bei euch Schwadroneuren einzig Proust triggert, na dann gute Nacht Literaturkritik. Übrigens, als ob es der Autor geahnt hätte: Genau dieses Kritikerphänomen, dieses Wortgeklöppel der denklosen Sprache, wird in Tric-Trac beschrieben. Da, wo auch von den „Tralala-Rhetorikern im Suhlbett des akademischen Jargons“ die Rede ist und von den „liturgischen Wortschamanen“. (S. 417 ff.)

Beerbt Lucian Freud eigentlich Albrecht Dürer weil er mit Ölfarbe Portraits auf Leinwand malt?

Merkt ihr eigentlich wirklich nicht mehr, was für einen Humbug ihr da zusammenbosselt? Seid ihr derart im Selbstdarstellungsstress des Literaturbetriebs gefangen, im Angebermodus gegenüber euren Kollegen, dass ihr nur noch schick klingende Begriffe zu einer Besprechung zusammenwurschteln könnt? Gleichzeitig aber – fällt euch das Blamable auf? – protegiert ihr bis zum Erbrechen spätpubertäre Bübchenliteratur à la Benedict Wells.

Wie kann ein einziger Autor soviel können? […] Ein pralles Buch der Bücher. Eigentlich ein Buch, auf das man seit Nabokovs „Ada“ gewartet hat, ohne genau zu wissen, worauf man wartet, aber wenn‘s da ist, erkennt man‘s sofort.
Ulrich Faure, 15.2.2022
ASJADI: Holla, holla! Dass Kritiker immer so maßlos sein müssen. Cool down, Monsieur Faure, dieses Lob ist mir peinlich. Haben Sie getrunken? Meine Frau allerdings sagt: „Nein, nein, mein Lieber, dieser frei drehende Faure hat recht. Nimm es an. Da erkennt einer die Bedeutung, und du zierst dich wie Klein Zimperlieschen persönlich. Ich weiß, unser alter zarathustrischer Gott der Bescheidenheit hätte sich anderes gewünscht, Prahlen und Protzen war ihm fremd, aber f___ Zarathustra". Meine Frau kann sehr direkt sein.
Dieses Buch ist eine literarische Überwältigungsorgie, blasphemisch zum Bersten angefüllt mit seitenlangen Beschimpfungssuaden, die auch vor realen Personen der Gegenwart nicht haltmachen, dazu detaillierte Beschreibungen sexueller Lustbarkeiten, ein Sechshundertseitenrausch, dramaturgisch immer hart an der Kante außer Kontrolle zu geraten.
Deutschlandfunk Büchermarkt, 29.4.2022
ASJADI: Ja, so ist das mit dem Rausch, er gerät schon mal außer Kontrolle, das Überbordende, das Enthemmte ist ihm quasi eigen. Aber das ist nicht das Schlechteste in der Kunst, oder? Besser ewig angetüdelt als ein Leben lang Sparkassenfilialleiter, sagt meine Frau immer. Besser auf alle Fälle als diese Veronika Ferres des Literaturbetriebs. Wie heißt sie noch gleich? Ich vergesse immer ihren Namen. Unterleuten hat sie, glaube ich, geschrieben. Oder Übermenschen. Diese öffentlich-rechtliche Valium-Literatur, verschlafen, aber woke.
Asjadis Roman Tric-Trac zu lesen ist […] anstrengend und faszinierend zugleich, sprachlich derb, und dann wieder zartfühlend und elegant. Wahrlich ein Rätsel, dieses Debüt.
Deutschlandfunk Büchermarkt, 29.4.2022
ASJADI: Genau, wenn eins von beidem fehlen würde, das Derbe wie das Zartfühlende, das Anstrengende wie das Elegante, wo bliebe da das Leben, das widersprüchliche große Leben? Das Ganze wäre ohne Belang, fehl am Platz, Larifari gewissermaßen. Und wollen wir wirklich Larifari? Schon gar in der Kunst?
Asjadi … schreibt genauso grenzüberschreitend, wie es seine Biographie verheißt: Und das unter Einsatz einer reichen in die Handlung einmontierten Bilderwelt aus unterschiedlichsten Quellen:
FAZ, 12.3.2022
ASJADI: Richtig! Und Schriftsteller aus der Provinz schreiben nur provinziell.
Wenn eine der Hauptfiguren das eigene Leben schon auf der ersten Seite ausgerechnet an den Bergman-Film „Sarabande“ erinnert, gibt der Autor dann damit an, dieses Nebenwerk des schwedischen Großregisseurs zu kennen? Oder ist es ein Kommentar auf die Art von mittelaltem Mann, der sein Leben mit einem Bergman-Film vergleicht und sich dabei selbst nervt? Oder ein Kommentar auf die Art von Literatur, die einen solchen Mann im Mittelpunkt hat? Oder ein Kommentar auf den Diskurs um diese Art von Literatur, die – und so weiter, und so fort.
Deutschlandfunk, 14.05.2022
ASJADI: Ach, Gottchen, putzig! Schon wieder nichts als hanswurstige Spekulation. Ihr lest ein Wort – Sarabande – und fangt an, ganze Welten zu imaginieren, wollt dem Wörtchen literaturwissenschaftliche Bedeutung zuschustern, übergroß. Die allmähliche Verfertigung des Unsinns beim Triggern. Ähnlich dem Anschubsen des Klotzes auf der schiefen Ebene in Tric-Trac (S. 519). Großhirne orakeln und nennen es Literaturkritik. Wie hilflos seid ihr eigentlich? Ein Mann sieht den Film Sarabande, und die Zwirbeldenker des Betriebs spulen ihr schickes Celluloid-Wissen ab, ihren flapsig zusammengeschlunzten Vermutungs- und Behauptungsjournalismus. Dabei war es nur ein Film, der Erwähnung fand, ganz simpel. Einfach ein Film. Fand Erwähnung wie die „rubinroten Tauben“ oder die „Bomben auf die Touristen Capris“. Ganz simpel. Was hättet ihr gemacht, wenn es Hitchcocks Psycho gewesen wäre? „Nicht alles hat was zu bedeuten“, heißt es nicht so in Tric-Trac? Ach, ihr Oberflächenhansele! Kein Wunder, dass diese unambitionierten, langweiligen Juli-Zeh-Gemütlichkeiten (ui, der Name ist mir wieder eingefallen) allerorten auf dem Vormarsch sind. Der italienische Literaturwissenschaftler Gianluigi Simonetti nennt derlei „Ikea-Literatur“, mediokre Textlein, die alle Welt kolonisieren, die in jedes Heim passen, bei Monsieur Großbourgeois genauso wie bei Frau Kleinbürger.

Also, Jungs und Mädels, wir wollen Belege statt Schlagwörter. Beweise, statt Unterstellungen. Begründungen statt Verdächtigungen und Mutmaßungen. Ganz konkret! Und wie wär‘s als Nachschlag noch mit ein paar Themen, die im Roman schlummern? Es gibt sie. Schaut hin. Ach, wie schön das doch wäre!
Die Fiktion geht hier weiter, wenn etwa behauptet wird, dass der Kosmopolit „Onkel Said“, der das Figuren-Trio in Paris empfängt, dem exilierten Dichter Said Esfandiari nachempfunden sei. Für dessen Existenz lassen sich keine Belege finden – Esfandiari hingegen war der Geburtsname der tatsächlich in Paris verstorbenen Soraya, oder verweist auf den transhumanistischen Schriftsteller Fereidoun Esfandiary alias FM-2030, der Vorname wiederum auf den letztes Jahr in München verstorbenen SAID.
Deutschlandfunk, 14.05.2022
ASJADI: Jetzt wird‘s vollends wirr. Es lassen sich für eine Figur keine Belege finden. Och jöh, herzig! Wie kannst du nur, du schriftstellender Bastard!? Notabene: für eine literarische Figur, eine erfundene, keine Belege. Wie kann das sein? Kennt unser tumber Gebrauchskritiker wirklich nicht den Unterschied zwischen Fiktion und Realität? Sucht er für eine erklärte, bekennende Romanfigur tatsächlich eine Entsprechung in der Wirklichkeit. Wie um alles in der Welt ist das in einem Menschenkopf zu begreifen! Said ist ein Name, du Menschlein, ein alltäglicher Name, wie Hamid, wie Karl. Ach ja, da denkst du ja auch gleich wieder an Schillers Karl Moor.

Und dann googelt er auch noch schlampig, unser Phantast. Er findet doch tatsächlich Said, den Edward, nicht. Den großen Edward Said. Ach, was hätte man nicht alles aus seinem Buch Orientalismus Schlaues ableiten können für eine schlaue Ost-West-Rezension. Es hätte zwar nichts mit Tric-Trac zu tun gehabt, indes, was wäre das für ein intellektuelles Fest geworden, gewaltig explosiver Stoff, was hätten die ach so geliebten gehassten Kollegen da gestaunt? Ein wärmendes Lorbeerkränzlein fürs kahle Hirn im mindesten wäre drin gewesen.

Ich allerdings, wäre ich Kritiker geworden, hätte eher Said Benrahma gewählt, den algerischen Außenstürmer bei West Ham United. Schwierig, ich weiß, aber wenn‘s klappt, wenn ihr einen gewieft-gewichtigen Zusammenhang herstellen könnt zwischen Tric-Trac und dem torgefährlich agierenden Flügelspieler Said, poststrukturell natürlich, könntet ihr den Jackpot einheimsen. Auf immer wäret ihr im großen Intellektuellenspiel der Literaturjournaille der alleinige Großkönig, unangreifbar.
Der abrupte Einsatz realen Leids als Schockeffekt ist an sich schon streitbar und wird mit Blick auf den Fall selbst fast verantwortungslos.
Deutschlandfunk, 14.05.2022
ASJADI: Der Philosoph und Schriftsteller Philipp Tingler ist zwar ein veritables Großmaul, immer hart an der Schmerzgrenze zum Unerträglichen, leider aber hat er meistens recht. Sinngemäß sagt er: Moral ist nicht der Zweck der Kunst. Wörtlich: „Menschlich ist nicht der politische Moralist, der zensiert und instrumentalisiert, sondern der Ästhet, der Freiheit lässt. Wer Kunst mit Moral kommt, produziert hingegen: Kitsch“. Oder wie es Nabokov sagt: „Keine Moral im Schlepptau“.

Also, Mister Großkritikerchen vom Deutschlandfunk, was heißt da „Leid als Schockeffekt“? Du hast es nicht verstanden, das ganze Buch. Thema verfehlt! Setzen, Sechs! Wer aber schon das Sujet nicht begreift, den eigentlichen Gegenstand, hat in der Kunst nichts verloren. Werde Buchhalter, Mimose! Kunst ist keine Moralkiste, keine Moral-Bonbonniere, aus der du dir das dir Genehme rauspicken kannst. Kunst ist ein Diskursfeld, ziemlich weit. Oder wie es Oscar Wildes Lord Henry sagt: „Die Bücher, die die Leute unmoralisch nennen, sind die Bücher, die der Welt ihre eigene Schande vorhalten.“ Da ist ja der vatikanische Index noch liberaler.
Offiziell wurden Asgari und Marhoni für die Vergewaltigung eines 13-Jährigen verurteilt. Die homophobe Dimension und die Queerness der Erhängten ist laut internationaler Menschenrechtsorganisationen mit Schwerpunkt auf antiqueerer Repression höchstwahrscheinlich nur ein Gerücht im Kontext der „Achse des Bösen“-Rhetorik des Westens in den Nullerjahren.
Deutschlandfunk, 14.05.2022
ASJADI: Tja, wo hat er das nun her, unser Apostel? Alle Welt weiß anderes. Alle Welt weiß, Teenager wurden gehängt, weil sie vom homophoben Ajatollah-Regime der Homosexualität bezichtigt wurden. Aber unser bestens informierter Spezialist hat eigene Erkenntnisse, quasi aus der Geheimdienstkiste der Großverschwörer. Das nennt man heute Literaturkritik.
Der Schriftsteller Dermot Hoggins hat seinen Kritiker einfach vom Dach gestoßen. Vielleicht ist das ja die Lösung des Problems.
Der Text bringt erzählende Kapitel, Briefe, Zeitungsausschnitte, eine beeindrucke Collage von männlichen Hintern, E-Mails zwischen Yorickson und seinem Liebhaber Andrea und derlei mehr zusammen. Der ästhetische Leim, das sind, neben großer Körperlichkeit und dem Hang zur etwas miefigen politischen Unkorrektheit, die permanenten Referenzen.
Deutschlandfunk, 14.05.2022
ASJADI: Miefige politische Unkorrektheit? Ach, Jingele! Kennst du nicht Battista Barolos erste Erkenntnis? Hier für unseren Spießer noch mal exklusiv: „Sittenverderbtheit beflügelt die Kunst. Korrektheit verdirbt den Geschmack. Das Hohe braucht das Niedere“. Ende der Durchsage!